​Baraki zeigen Mut zur Farbe.

Veröffentlicht am 24. Juli 2023 von
Cloé Sermier

​ Das Architekturbüro Baraki wurde 2015 in Lausanne gegründet und hiess zunächst Whoodxmug. Marc Vertesi, Jeanne Wéry und Georg-Christoph Holz haben an der EPFL studiert. Ihre Arbeiten sind zwischen Architektur, Kunst, parametrischer Forschung und Bauingenieurwesen angesiedelt. ​

Das Architekturbüro Baraki wurde 2015 in Lausanne gegründet und hiess zunächst Whoodxmug. Marc Vertesi, Jeanne Wéry und Georg-Christoph Holz haben an der EPFL studiert. Ihre Arbeiten sind zwischen Architektur, Kunst, parametrischer Forschung und Bauingenieurwesen angesiedelt. | Foto: Mathilda Olmi

Das Architekturbüro Baraki wurde 2015 in Lausanne gegründet und hiess zunächst Whoodxmug. Marc Vertesi, Jeanne Wéry und Georg-Christoph Holz haben an der EPFL studiert. Ihre Arbeiten sind zwischen Architektur, Kunst, parametrischer Forschung und Bauingenieurwesen angesiedelt. | Foto: Mathilda Olmi

Genau wie Raum ist Farbe ein Mittel, mit dem Stimmungen und Gefühle evoziert werden können. Jeanne Wéry, Georg-Christoph Holz und Marc Vertesi des in Lausanne beheimateten Büros Baraki erzählen, wie sie Referenzen und Farben in ihren Arbeiten einsetzen, um angenehme Interieurs zu schaffen.

Woran orientiert ihr euch, wenn ihr Farbkonzepte erarbeitet? Greift ihr auf Referenzen, Theorien oder Inspirationen aus der Kunst zurück?

Die ausgewählten Farben sind immer sehr eng mit dem Kontext und der Funktion des Projekts verbunden. Trends interessieren uns nicht beziehungsweise wir versuchen sie auszulassen, denn sie sind schnelllebig. Unsere Arbeiten sind bewusst irgendwie unzeitgemäss, indem wir viel mit alten Referenzen arbeiten. Dabei lassen wir uns von Dingen inspirieren, die eher unscheinbar sind. Mag sein, dass wir mit dem, was wir aufgreifen, wiederum allgemeine Tendenzen vorwegnehmen. Aber das ist ein Nebeneffekt und keine bewusste Suche danach, Trends zu setzen.

Woher stammen die Referenzen beispielsweise für den Umbau der Pizzeria Domani und des Cactus Clubs?

Wir ziehen alles Mögliche heran: Videoclips, Filme, Fotografien oder Musik – das gesamte Spektrum der Kunst. Alles kann uns inspirieren: ein Detail, eine Farbe, eine Atmosphäre. Wir arbeiten mit Schnipseln von Referenzen, die uns intuitiv inspirieren. Aus ihnen setzen wir unsere Projekte zusammen.Für den Umbau der Pizzeria haben wir uns mit Stillleben beschäftigt, mit Gemälden und Fotografien, aber auch mit Collagen und Bühnenbildern. Wie bereits gesagt, interessiert uns das Konzept der Komposition, wie verschiedene Elemente im Zusammenspiel eine Stimmung hervorbringen. Die Fliesenfresken der Pizzeria sind wie verschiedenartige Charaktere. Gemeinsam etablieren sie die Atmosphäre des Raumes. In Gesprächen mit der Bauherrschaft haben wir ein Farbkonzept vorgeschlagen, das unserer Ansicht nach gut zur italienischen Küche passt, ohne klischeehaft zu wirken. Ausgehend vom Grün und Rot der italienischen Flagge haben wir erdige Töne wie Terrakotta und Flaschengrün vorgeschlagen. Beim Cactus Club schwebte uns eine dunkle, schwere Atmosphäre vor, wie auf Fotos von Berliner Partys in den 1980er- und 1990er-Jahren. Diese aufregende Zeit wollten wir im Cactus mit den Mitteln der Architektur atmosphärisch wieder aufleben lassen. Die Frage nach der Farbe war dort aber nicht der Ausgangspunkt des Konzepts. Sie ergab sich jedoch unmittelbar aus ihm. Wir haben uns für dieses Projekt von Zisternen in Metropolen wie London oder Paris inspirieren lassen. Wir suchten nach einem Harzanstrich für den Boden, der ähnliche Reflexionen wie eine Wasseroberfläche erzeuget. Neben den Lampen ist das Harz das einzige farbige Element des Projekts; der letzte Schliff, um die Atmosphäre zu erreichen, die wir uns vorgestellt haben. Letztendlich bauen wir bei beiden Projekten auf die Geschichte des Ortes, die wir lediglich neu interpretiert haben.

​ Im Jahr 2022 gestalteten Baraki die Pizzeria Domani in Lausanne um. Der kleine Massstab und die räumliche Komplexität, die durch ein Zwischengeschoss und eine Treppe verursacht wurde, machten den Raum unübersichtlich. Durch kleine Eingriffe gelang es den Architekt*innen, einen angenehmen und «weichen» Ort zu schaffen. Die beiden absichtlich unförmigen Fliesenfresken erinnern an die nie perfekte Form einer Pizza. ​

Im Jahr 2022 gestalteten Baraki die Pizzeria Domani in Lausanne um. Der kleine Massstab und die räumliche Komplexität, die durch ein Zwischengeschoss und eine Treppe verursacht wurde, machten den Raum unübersichtlich. Durch kleine Eingriffe gelang es den Architekt*innen, einen angenehmen und «weichen» Ort zu schaffen. Die beiden absichtlich unförmigen Fliesenfresken erinnern an die nie perfekte Form einer Pizza. | Foto: Baraki

Im Jahr 2022 gestalteten Baraki die Pizzeria Domani in Lausanne um. Der kleine Massstab und die räumliche Komplexität, die durch ein Zwischengeschoss und eine Treppe verursacht wurde, machten den Raum unübersichtlich. Durch kleine Eingriffe gelang es den Architekt*innen, einen angenehmen und «weichen» Ort zu schaffen. Die beiden absichtlich unförmigen Fliesenfresken erinnern an die nie perfekte Form einer Pizza. | Foto: Baraki

Spürt ihr manchmal Skepsis bei Kolleg*innen oder Kundschaft, wenn es um die Verwendung von Farbe geht?

Es ist generell schwierig, Kund*innen unsere Entwürfe zu vermitteln. Es ist ein ständiger Kampf, sie davon zu überzeugen, dass ein Vorschlag für sie der richtige ist, trotz ihrer fixen Ideen. Sobald ein Konzept genehmigt wurde, ist die Frage der Farbe nur noch eine Nebensache und wird eher positiv aufgenommen. Was das Thema Farbe angeht, gibt es keine Berührungsängste – im Gegenteil: Kund*innen kommen sogar häufig zu uns, weil sie unsere Arbeiten kennen, und erwarten dann lebendige Vorschläge. Und was die Architekt*innen angeht, würde ich sagen, dass dort eine falsche Angst verbreitet ist, dass Farbe den Wert eines Gebäudes schmälern würde. Sie denken oft: Je mehr Personen ein Projekt gefällt, umso lukrativer ist es. Das bremst sie beim Gestalten aus und bringt häufig neutrale Gestaltungen hervor.

Einige eurer Projekte strotzen geradewegs von Farbe. Andere geben sich eher dezent. Wann wagt ihr Farbe? Und wann ist ein Verzicht angeraten?

Das hängt immer vom Kontext und von den Auftraggebenden ab. Manchmal wünscht eine Bauherrschaft ganz deutlich ein neutrales Gebäude – eine weisse Leinwand, die sie mit ihren eigenen kreativen Ideen füllen kann. Man darf jedoch nicht vergessen, dass auch Weiss eine Farbe ist. Es ist sogar ziemlich schwierig, die richtige Nuance auszuwählen. Bereits bei kleinen Abweichungen vom reinen Weiss reagiert es anders auf Licht und bringt unterschiedliche Atmosphären hervor. Wenn man mit Farbe im Entwurf arbeitet, geht es auch nicht bloss um das Streichen einer Wand. Materialien und ihre verschiedenartigen Oberflächen können die gleiche Rolle wie Farben spielen. Denke beispielsweise an Holz, das je nach Baumart und Verarbeitung eine Vielzahl von Farbtönen und Strukturen hat.

​ Ein Muschelfresko von Nicolas Delaroche, das auf Fliesen gedruckt wurde, spielt ebenfalls mit dem Thema des Wassers.

Ein Muschelfresko von Nicolas Delaroche, das auf Fliesen gedruckt wurde, spielt ebenfalls mit dem Thema des Wassers. | Foto: Nicolas Delaroche

Ein Muschelfresko von Nicolas Delaroche, das auf Fliesen gedruckt wurde, spielt ebenfalls mit dem Thema des Wassers. | Foto: Nicolas Delaroche

Ihr habt den Zusammenhang zwischen Farbe und Stimmung erwähnt? Welche Emotionen oder Gefühle wollt ihr wecken?

Stimmung, Atmosphäre, Gefühle – dies sind zentrale Aspekte, sowohl wenn wir Räume wahrnehmen und verstehen wolle als auch wenn wir sie entwerfen. Wenn wir reflektieren, warum wir Räume als angenehm empfinden, hat das oft mit den Lichtstimmungen und den Farben zu tun. Die Sinne dafür haben wir bereits in der Kindheit unbewusst entwickelt. Im Französischen gibt es den Ausdruck der «Madeleine de Proust». Damit ist die Begegnung mit etwas Alltäglichem gemeint, die eine Erinnerung zurückbringt. Oft haben Farben genau diesen Effekt: Sie lösen Emotionen aus und geben uns häufig ein tröstliches Gefühl. Und schliesslich versuchen wir uns durch den Einsatz von Farbe auch vom allzu präsenten Drang zu objektiver Neutralität in der Architektur zu lösen. Wir wollen stattdessen unsere Kundschaft dazu bringen, sich auszudrücken. Farbe ist für uns oft ein Startpunkt, um herauszufinden, was sie sich wünscht.

​ Der neue Harzboden im Cactus Club in Lausanne und die Fliesen, die an den Rand eines Schwimmbeckens erinnern, verleihen dem Ort, der schon vielen Nutzungen gedient hat, ein neues Leben.

Der neue Harzboden im Cactus Club in Lausanne und die Fliesen, die an den Rand eines Schwimmbeckens erinnern, verleihen dem Ort, der schon vielen Nutzungen gedient hat, ein neues Leben. | Foto: Nicolas Delaroche

Der neue Harzboden im Cactus Club in Lausanne und die Fliesen, die an den Rand eines Schwimmbeckens erinnern, verleihen dem Ort, der schon vielen Nutzungen gedient hat, ein neues Leben. | Foto: Nicolas Delaroche

Ihr habt erwähnt, dass die Künste euch als Referenzraum dienen. Wenn ihr über die Verwendung von Farbe in Kunst und Architektur reflektiert: Wo gibt es Gemeinsamkeiten und wo liegen Unterschiede?

Beide Sphären beeinflussen sich stark. Wobei die Kunst sicher stärker auf die Architektur wirkt als umgekehrt. Kunst hat – ganz unabhängig von der Epoche – immer wieder neue Möglichkeiten aufgezeigt. Sie ist ein Labor zum Testen von Farbkompositionen, Stimmungen und vielem mehr. Die Vielseitigkeit beim Umgang mit Farbe ist in der Kunst definitiv grösser als in der Architektur. Der grösste Unterschied zwischen Kunst und Architektur besteht letztlich darin, dass ein Kunstwerk für sich alleine stehen kann und nicht unbedingt einen Zweck erfüllen muss. Im Gegensatz dazu ist Architektur nie ein Selbstzweck. Wird sie zu sehr aus einer künstlerischen Perspektive gedacht, besteht die Gefahr, dass sie unnahbar ist. Architektur darf weder nur ein Träger für Farben, noch darf Farbe in der Architektur blosse Deko sein. Architektur und Farbe müssen gemeinsam die Identität eines Projekts hervorbringen. Zum Schluss möchten wir allen Gestalter*innen Mut zusprechen, mehr Farbe zu wagen. Widersetzt euch der Uniformität und Steifheit, die derzeit in der Schweizer Architektur vorherrscht!

Dieser Artikel ist in Arc Mag 2023-4 erschienen. Bestellen Sie jetzt ein Abo, damit das Heft schon bald in Ihrem Briefkasten ist.

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