Poetische Transformationen – Charles Pictet und Baptiste Broillet im Gespräch

Veröffentlicht am 22. Mai 2023 von
Valentin Oppliger

Charles Pictet gründete 2002 in Genf sein Architekturbüro. Seit 2009 arbeitet Baptiste Broillet mit Charles Pictet und ist seit neun Jahren Partner im Büro, das seitdem unter Charles Pictet Baptiste Broillet Architectes Associés firmiert. Photo: Mathieu Gafsou

Charles Pictet gründete 2002 in Genf sein Architekturbüro. Seit 2009 arbeitet Baptiste Broillet mit Charles Pictet und ist seit neun Jahren Partner im Büro, das seitdem unter Charles Pictet Baptiste Broillet Architectes Associés firmiert. Photo: Mathieu Gafsou

Charles Pictet gründete 2002 in Genf sein Architekturbüro. Seit 2009 arbeitet Baptiste Broillet mit Charles Pictet und ist seit neun Jahren Partner im Büro, das seitdem unter Charles Pictet Baptiste Broillet Architectes Associés firmiert. Photo: Mathieu Gafsou

Das Architekturbüro Pictet Broillet hat sich in Genf in einem kleinen Gewerbebau aus dem Jahr aus den 1950er-Jahren eingerichtet. Ein Glasdach lässt grosszügig Licht einfallen – ein inspirierender Ort, an dem es Spass macht zu arbeiten. Charles Pictet und Baptiste Broillet entwickeln mit ihrem Team Projekte in ganz unterschiedlichen Massstäben. Besonders die kleineren Arbeiten zeugen von gestalterischer Freiheit und Vielfalt. Valentin Oppliger hat die beiden Architekten in Genf getroffen, um herauszufinden, wie es ihnen gelingt, trotz Auflagen, Gesetzen und wirtschaftlichen Zwängen auch bei Grossprojekten einen kulturellen Mehrwert zu schaffen.

Die Nachhaltigkeitsdebatte beherrscht derzeit den Architekturdiskurs. Es gibt einen Konsens, dass beim Bauen weniger Ressourcen verbraucht werden sollten. Gleichzeitig wachsen in Europa beziehungsweise weltweit die Städte und es müssen im grossen Stil neuer Wohnraum und Infrastruktur erstellt werden. Wie navigieren Sie als Architekten in dieser widersprüchlichen Situation, Herr Pictet und Herr Broillet?

Charles Pictet Wir haben viele Jahre unter anderen Bedingungen Architektur gemacht, beziehungsweise mit anderen Prämissen. Weil Nachhaltigkeit nun zur Maxime geworden ist, müssen wir unsere Herangehensweise ändern und auch eine andere Architektursprache entwickeln. Ich sage das bewusst in einem Atemzug. Andere mögen im Angesicht der Krise die Frage des Ausdrucks komplett über Bord werfen. Uns ist es jedoch wichtig, sie weiter im Fokus zu behalten. Damit meine ich: Wir müssen die steigenden Anforderungen bezüglich Nachhaltigkeit in unsere Arbeit sublimieren, kreativ mit ihnen umgehen und mit unseren Idealvorstellungen in Einklang bringen. Das wird jedoch zusehends schwieriger. Forderungen nach Kreislaufwirtschaft und Normen bezüglich Sicherheit und Barrierefreiheit bilden ein immer strammeres Korsett. Wir versuchen, uns dennoch nicht einschnüren zu lassen, sondern all diese Einschränkungen und Regeln als Potenziale zu aktivieren, die unsere Projekte bereichern. Ausdruck ist dabei kein Selbstzweck. Er ist ein Vehikel für Poesie und Träume. Um zu beflügeln, muss Architektur auch einen spielerischen Charakter haben.

Baptiste Broillet Wir können es uns nicht mehr leisten, weiterhin in grossem Stil abzureissen und zu ersetzen. Stattdessen werden wir uns in der nächsten Zeit als Architekt*innen - viel mehr als bisher - mit der Pflege und Transformation des Bestandes beschäftigen müssen. Da vieles gesetzlich vorgeschrieben ist und die Regeln strenger werden, gibt es zwangsläufig positive Veränderungen. Aber es muss auch eine allgemeine Überzeugung geben, dass Nachhaltigkeit beim Bauen wichtig ist. Oft ist es teurer, ein Gebäude so umzubauen, dass es den aktuellen Normen entspricht, als es zu ersetzen. Daher müssen auch die Bauherren gewillt sein, ihren Beitrag zu leisten. Wenn es uns gelingt aufzuzeigen, dass Projekte, die mit dem Bestand arbeiten, reicher - oder wir sprechen gerne von «poetischer» - sind als Neubauten, dann hilft uns das beim Argumentieren.

In der aktuellen Magazinausgabe rücken wir daher bewusst das Umbauen in den Fokus. Ihr Büro hat viele spannende Transformationen umgesetzt. Wie verstehen Sie Architektur? Ist ein Entwurf etwas endgültiges oder muss er im Bewusstsein erfolgen, dass jede Architektur später einmal von jemandem adaptiert und umgebaut wird?

BB Gebäude werden umgebaut, um sie zu erhalten und neuen Bedürfnissen gerecht zu werden. Das ist nichts Neues. Architektur wurde im Laufe der Geschichte kontinuierlich verändert beziehungsweise die Materialien einiger Gebäude für andere wiederverwendet. Im Angesicht der Herausforderungen der aktuellen Krise rückt das Umbauen und Transformieren nun aber wieder klarer ins Bewusstsein.

CP Beim Umbauen gilt es immer, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Bedürfnis, ein Gebäude in seiner bestehenden Form – im Sinne eines Zeitzeugens und als Kulturgut – zu erhalten und der Notwendigkeit, aktuelle Anforderungen umzusetzen. Da kann es mitunter zu eigenwilligen Konflikten kommen: In einem Bergdorf sind beispielsweise manche Gassen nur einen Meter breit. Heute dürfen Häuser aus Brandschutzgründen jedoch nicht mehr so nah aneinander gebaut werden. Daher ist es manchmal fast unmöglich, so mit dem Bestand zu arbeiten, dass Charakter und Qualitäten erhalten bleiben und gleichzeitig alle gültigen Normen erfüllt werden.

Mit dem Umbau eines Hauses in Vandeouvre hat das Büro Möglichkeiten ausgelotet, wie mit einfachen, aber cleveren Mitteln die Energiebilanz und die Räumqualitäten verbessert werden können. Foto: Duccio Malagamba

Mit dem Umbau eines Hauses in Vandeouvre hat das Büro Möglichkeiten ausgelotet, wie mit einfachen, aber cleveren Mitteln die Energiebilanz und die Räumqualitäten verbessert werden können. Foto: Duccio Malagamba

Mit dem Umbau eines Hauses in Vandeouvre hat das Büro Möglichkeiten ausgelotet, wie mit einfachen, aber cleveren Mitteln die Energiebilanz und die Räumqualitäten verbessert werden können. Foto: Duccio Malagamba

Wie gehen Sie vor? Studieren Sie als Erstes die Vorschriften und eruieren, was möglich ist? Oder versuchen Sie frei zu entwerfen und später Ihre Ideen und Konzepte mit den Regeln in Einklang zu bringen?

BB Wir haben uns angewöhnt, jeweils gleich zu Beginn Spezialisten zurate zu ziehen, um die relevanten Gesetze so gut es geht zu durchdringen. Von da an versuchen wir dann aber so frei wie möglich zu arbeiten. Im Vorfeld eine solide Basis zu schaffen und den Spielraum zu kennen, hilft uns später dann ausschliesslich auf die Architektur konzentrieren zu können.

Ich möchte mit Ihnen drei Transformationen genauer anschauen. 2022 haben Sie ein Haus in Vandoeuvres umgebaut. Was waren dort die Wünsche der Bauherrschaft?

BB Sie hatten das Haus Ende der 1990er-Jahre gebaut und wollten in erster Linie die Energieeffizienz erhöhen. Gemeinsam mit einem Spezialisten haben wir ermittelt, welche Bauteile die grössten Schwachstellen im System sind. Wir stellten fest, dass ein Austauschen der Fenster und eine neue Isolierung des Daches eine grosse Verbesserung bringen würden.

Als ich dieses Projekt zum ersten Mal wahrgenommen habe, war ich nicht sicher, ob es sich um einen Neu- oder einen Umbau handelt. Aussen wirkt das Haus unprätentiös, fast banal. Im Inneren hingegen gibt es interessante Stellen, die komplex und ganz offensichtlich das Resultat einer Transformation sind.

BB Auch wenn bei diesem Projekt die energetischen Ertüchtigung im Fokus stand, haben wir das Haus bei dieser Gelegenheit auch als Ganzes reflektiert. Wir haben kleine architektonische Eingriffe vorgeschlagen, um die Nutzbarkeit zu verbessern. Wir haben einen Geräteschuppen in ein Arbeitszimmer verwandelt, den Wintergarten vergrössert, um die Wohnräume miteinander zu verbinden und das seitliche Vordach verlängert, um eine überdachte Terrasse zu schaffen.Alle neu hinzugefügten Elemente wurden aus Holz gefertigt. Die Fassaden bekamen einen neuen Farbton, damit sie besser mit dem Garten harmonieren. Die Kubatur des Hauses blieb indes weitestgehend unverändert. Der Ausdruck und die Atmosphäre im Inneren haben sich jedoch stark gewandelt.

CP Bei diesem Projekt hat sich eine tolle Beziehung zur Bauherrschaft entwickelt. Sie hatten riesiges Vertrauen in uns und es gab einen grossen gegenseitiger Respekt. Wir haben sie in alle Prozesse eingebunden und viel gemeinsam diskutiert. Das war sehr produktiv und konstruktiv. Wir geniessen solche kleineren Projekte und den direkten Austausch mit einer Bauherrschaft. Zum Teil haben wir unsere Ideen auf der Baustelle weiterentwickelt. Bei grossen Projekten gibt es feste Abläufe, an die man sich halten muss und es gibt kaum Raum für Spontanität.

Den Innenräumen eines Hauses in Vandoeuvres wurde durch kleine Umbauten neue Qualitäten verliehen. Foto: Duccio Malagamba

Den Innenräumen eines Hauses in Vandoeuvres wurde durch kleine Umbauten neue Qualitäten verliehen. Foto: Duccio Malagamba

Den Innenräumen eines Hauses in Vandoeuvres wurde durch kleine Umbauten neue Qualitäten verliehen. Foto: Duccio Malagamba

Weil Gebäude heutzutage so gut isoliert sind, werden die Bewohner*innen träge. Sie begreifen nicht, dass sie sich kontinuierlich für den Umweltschutz einsetzen und ihre eigenen Lebensweisen sowie die kulturellen Praktiken ganz allgemein hinterfragen müssen. Wäre es nicht besser, wenn Architektur uns aufrütteln und helfen würde, aktiv zu werden?

BB Natürlich macht es bei vielen Gebäuden Sinn, sie zu renovieren und energetisch zu ertüchtigen. Aber wir müssen auch die Bewohner*innen dafür sensibilisieren, ihren Verbrauch zu reduzieren. In Genf wird 2026 eine Kontrolle des Energieverbrauchs eingeführt. Eigentümer von Gebäuden mit einer schlechten Bilanz werden Sanierungsarbeiten durchführen und allem voran die Gebäude besser isolieren müssen. Paradoxerweise werden aber diese Arbeiten selbst viel Energie verschlingen. Statt überall die Isolation zu verbessern, müssen wir ein Gleichgewicht zwischen dem finden, was notwendig ist, und dem, was durch Anpassungen unserer Lebensweise erreicht werden kann. Architekt*innen können dabei eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie die verschiedenen Ansätze aufzeigen.

Vor einigen Jahren haben Sie gesagt, «nicht Gebäude verschmutzen die Umwelt, sondern die Bewohner*innen, indem sie Energie verbrauchen». Sie haben dem Kanton Genf vorgeschlagen, sowohl das Sparen von Energie als auch das Vermeiden von grauer Energie – beispielsweise für eine energetische Ertüchtigung eines Bestandbaus – finanziell zu belohnen.

CP Die kantonale Energiebehörde fand diesen Vorschlag sehr interessant und hat mit dem Denkmalschutz einen regen Dialog dazu etabliert. Es macht einfach keinen Sinn, alle Gebäude gleich stark zu isolieren. Sie haben es angetönt: Es steckt viel graue Energie in den Dämmstoffen, den neuen Fenstern und so weiter. In vielen Fällen kann man mehr erreichen, wenn die Nutzer aktiv werden. Wir müssen alle mithelfen, Energie einzusparen, indem wir weniger heizen. Warum wird beispielsweise ein ganzes Gebäude geheizt, wenn man sich die meiste Zeit in nur einem Raum aufhält? Unser Vorschlag war, Personen, die Energie durch weniger Heizen einsparen, dafür zu belohnen. Analog zu den Hausbesitzern, die steuerlich entlastet werden, wenn sie ihre Gebäude nachisolieren lassen.

Das Haus in Troinex, das von Pierre Zoelly erbaut wurde, hat eine Struktur aus Beton. Ihre Logik erinnert an einen Holzbau und verleiht den Innenräumen einen starken Charakter. Die Architekten haben versucht, das Haus in Zoellys Geist weiterzubauen. Foto: Dylan Perrenoud

Das Haus in Troinex, das von Pierre Zoelly erbaut wurde, hat eine Struktur aus Beton. Ihre Logik erinnert an einen Holzbau und verleiht den Innenräumen einen starken Charakter. Die Architekten haben versucht, das Haus in Zoellys Geist weiterzubauen. Foto: Dylan Perrenoud

Das Haus in Troinex, das von Pierre Zoelly erbaut wurde, hat eine Struktur aus Beton. Ihre Logik erinnert an einen Holzbau und verleiht den Innenräumen einen starken Charakter. Die Architekten haben versucht, das Haus in Zoellys Geist weiterzubauen. Foto: Dylan Perrenoud

Den Umbau des Hauses in Troinex finde ich ebenfalls sehr spannend. Seine filigrane Betonstruktur gibt dem Gebäude einen besonderen Charakter.

CP Für dieses Projekt haben wir die Arbeiten von Pierre Zoelly studiert und versucht, sie weiterzuschreiben. Er hat als Architekt viele sehr schöne Arbeiten gemacht. Aber bei diesem Haus gab es einige Dinge, die nicht ideal waren. Vielleicht hatte die Bauherrschaft damals bestimmte Dinge von Zoelly verlangt, die ihn dazu zwangen, von seinen üblichen Konzepten abzuweichen? Wir mussten das Haus umbauen, weil es zwar wunderschön, aber nur schwer zu bewohnen war. Wir fragten uns, was Pierre Zoelly getan hätte. Wir setzten eine Geschichte fort, deren Anfang bereits geschrieben stand. Die Arbeiten waren umfangreich. Wir haben viele Dinge verändert, neue Räume geschaffen und die Struktur des Eingangs verändert. Doch sie können das kaum wahrnehmen, denn das Haus wirkt nun einheitlich und völlig stimmig. Man bekommt den Eindruck, dass es schon immer genau so ausgesehen haben muss.

Auf einer Konferenz haben Sie gesagt, dass die «Architektur immer in einer positiven Zukunft bleibt.» Meinen Sie damit, dass alle Gebäude, die vor 30 oder 40 Jahren erstellt wurden, heute noch immer eine positive Ausstrahlung haben?

CP Damit wollte ich sagen, dass Bauwerke - wenn sie errichtet werden - immer aus einem positivistischen Ansatz heraus entstehen. Man baut ja nicht, um die Welt trister zu machen, sondern um etwas zu gewinnen, mehr Platz zu haben, oder damit es praktischer ist. Eine Bauherrschaft wird niemals investieren, um etwas zu verlieren, das wäre ja auch unlogisch. Sollte doch einmal etwas kleiner oder dunkler gemacht werden, dann passiert dies sicher immer, um einen poetischen Moment zu schaffen.Im Zuge der Klimakrise müssen wir nun aber reduzieren. Allem voran darf die durchschnittlich verbrauchte Wohnfläche nicht weiter ansteigen. Das trifft auf wenig Begeisterung. Nur wenn wir den Menschen mehr Poesie in der gebauten Umwelt anbieten, werden sie bereit sein, künftig mit weniger auszukommen.

Der Umbau eines Nebengebäudes in Masset weckt Emotionen und vermittelt mit sichtbaren alten Holzbalken ein Gefühl von Geborgenheit. Weil Tageslicht von oben einfällt, wirkt der Raum jedoch zugleich grosszügig. Foto: Dylan Perrenoud

Der Umbau eines Nebengebäudes in Masset weckt Emotionen und vermittelt mit sichtbaren alten Holzbalken ein Gefühl von Geborgenheit. Weil Tageslicht von oben einfällt, wirkt der Raum jedoch zugleich grosszügig. Foto: Dylan Perrenoud

Der Umbau eines Nebengebäudes in Masset weckt Emotionen und vermittelt mit sichtbaren alten Holzbalken ein Gefühl von Geborgenheit. Weil Tageslicht von oben einfällt, wirkt der Raum jedoch zugleich grosszügig. Foto: Dylan Perrenoud

Man sollte Architektur immer im benutzten Zustand anschauen und werten – mit den Menschen, die sie beleben und Möbeln. Warum zeigen dennoch die meisten Fotos in Architekturzeitschriften und Büchern aseptische, leere und damit leblose Räume?

BB Architektur wird meistens in ihrer reinen Form dargestellt. Wahrscheinlich, weil sich so die grundlegenden Gedanken eines Entwurfes am deutlichsten aufzeigen lassen. Auch wir bevorzugen diese Art von Abbildungen. Doch ich gebe Ihnen recht: Wenn man auf Bildern eine Atmosphäre spürt, ist das oft viel interessanter. Letzlich ist Architektur ja kein Selbstzweck im Sinne eines Kunstwerkes. Sie ist ein Gefäss, oder anders gesagt eine Bühne, auf der sich das Leben abspielt.

Kleine Projekte kann man einfacher sorgfältig durcharbeiten. Grosse Projekte, wie beispielsweise Mehrfamilienhäuser, erlauben wegen des Kostendrucks, den vielen Beteiligten und den standardisierten Prozessen weniger Freiheiten.

CP Das ist richtig. Bei grossen Projekten muss man sich die Freiräume erkämpfen. Doch das schaffen wir auch. Bei einem Projekt mit Sozialwohnungen in Paris ist es uns gelungen, einen Mehrwert zu schaffen, der nicht im Programm vorgegeben war und sowohl dem Gebäude als auch dem Viertel einen Hauch Poesie verleiht. Es handelt sich um eine grosse Loggia im fünften Stock. Das Gebäude liegt in Chapelle International, einem Viertel, das derzeit komplett neu gebaut wird. Das Zentrum wird von mittelhohen Gebäuden definiert. Und darin bildet die Loggia wiederum eine Art Mittelpunkt, auch wenn sie es räumlich nicht genau ist. Ich stelle mir vor, dass jemand, der mit einer Drohne ein Video des neuen Quartiers aufnehmen möchte, von der Loggia aus starten wird.

Die Loggia ist ein gutes Beispiel, an dem Sie erläutern können, was Sie mit der Suche nach «Poesie» in der Architektur genau meinen.

CP Auch wenn sie kein Raum ist, den die Menschen regelmässig aufsuchen werden, ist diese Loggia ein Ort, an den man sich hineinprojizieren kann. Ähnlich einem Pavillon in einem Park, den man aus der Ferne sieht und der einen beim Spazierengehen visuell begleitet. Man muss ihn nicht unbedingt besuchen. Er hat die Kraft, bereits aus der Distanz die Fantasie anzuregen. Mit der Moderne wurden solche malerischen Elemente aus der Architektur eliminiert, da man sie für nutzlos hielt. Doch wir sehen einen Wert in ihrer poetischen Dimension, weil sie die Vorstellungskraft anregen.

Im neuen Viertel Chapelle International haben Pictet Broillet einen Wohnturm errichtet. Die Architekten konnten die Bauherrschaft überzeugen, eine grosse Loggia einzufügen. Sie bildet einen optischen Mittelpunkt für das gesamte Quartier. Foto: Salem Mostefaoui

Im neuen Viertel Chapelle International haben Pictet Broillet einen Wohnturm errichtet. Die Architekten konnten die Bauherrschaft überzeugen, eine grosse Loggia einzufügen. Sie bildet einen optischen Mittelpunkt für das gesamte Quartier. Foto: Salem Mostefaoui

Im neuen Viertel Chapelle International haben Pictet Broillet einen Wohnturm errichtet. Die Architekten konnten die Bauherrschaft überzeugen, eine grosse Loggia einzufügen. Sie bildet einen optischen Mittelpunkt für das gesamte Quartier. Foto: Salem Mostefaoui

Verstehen Sie das als postmoderne Position?

CP Seit Beginn der Moderne vor hundert Jahren gab es immer wieder Tendenzen: Funktionalismus, Rationalismus, Strukturalismus, Postmodernismus, Minimalismus. Wir sind skeptisch, ob diese «-ismen» einen Wert hatten. Mir scheint, wir haben sie glücklicherweise überwunden. Heute ist jeder Schachzug erlaubt. Wichtig ist, dass man damit etwas bewirken kann, das einen Mehrwert bietet. Vielleicht kann man, um es auf den Punkt zu bringen, unser Interesse an Poesie auch als Suche nach einer Architektur umschreiben, die helfen soll, gut zu leben.

Erstveröffentlichung im Arc Mag 3.2023

Bestellen Sie Ihr Exemplar unter: baudokumentation.ch/magazin

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