Immersion – Trends von der ​Euroluce

 

Messe

Veröffentlicht am 29. Juni 2023 von
Christina Horisberger

Für die diesjährige Lichtbiennale Euroluce wurde mit Spannung das neue Layout- und Inselkonzept von Lombardini22 und Designstudio Formafantasma erwartet. Während Lombardini22 die Ausstellungsflächen neu definierten, entwickelten die beiden Gründer von Formafantasma, Simone Farresin und Andrea Trimarchi, Ausstellungsplattformen, die man beim Besuch der Hallen dank der mäandrierenden Wegführung automatisch kreuzte wie bei einem Stadtspaziergang. Dieses Konzept sorgte für Offenheit und Leichtigkeit und liess die Produkte und die Beleuchtungskonzepte der Hersteller im Wortsinn in bestem Licht erscheinen.

Am Salone del Mobile passiert es einem immer wieder, dass man aufgrund des strengen Rasters die Orientierung verliert und nicht mehr weiss, welchen Gang man schon abgeschritten hat. Nicht so an der diesjährigen Euroluce. Entlang eines organisch angelegten grosszügigen «Stadtrundgangs» konnten die Besucher*innen die einzelnen Firmen und Hersteller schon von Weitem identifizieren. Die einen nutzten das neue Layout für eine adäquate Inszenierung, während andere am klassischen Aufbau mit Welcome Desk und von aussen nur teilweise einsehbaren Ständen festhielten. Innovationen waren an der Euroluce auf den ersten Blick kaum zu erkennen, zumindest nicht bei den dekorativen Leuchten, wie dies auch Michael Heusi in seinem Interview mit Christina Horisberger beobachtet. Auch neue Unternehmen gab es keine zu sehen. Entweder ist der Markt gesättigt oder die Grossen können ihre Marktposition mit einem sehr breit angelegten Angebot bestens behaupten. Dies trifft auch für die beiden italienischen Topmarken Artemide und Flos zu. Wer schaffte es aber dennoch, mit attraktiven Beleuchtungen für Aufmerksamkeit zu sorgen? Es waren weniger die Produkte, als immersive Lichtinszenierungen die Erlebnisräume schufen. Licht braucht den Raum, benötigt Oberflächen wie Wände, Boden und Decke, damit Beleuchtung ihr Potenzial entfaltet. Dies ist zahlreichen Herstellern sehr gut gelungen: mit Additionen modularer Systeme oder Anhäufungen, mit dynamischen Lichtkonzepten oder in italienischer Manier mit der Überhöhung des Dekorativen. Auf den folgenden Seiten haben wir ein paar Themen aufgegriffen.

Licht braucht Raum. Raum braucht Licht. Einige Hersteller inszenierten ihre Produkte als immersive Erlebnisräume mit Licht- und Schattenspielen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Licht braucht Raum. Raum braucht Licht. Einige Hersteller inszenierten ihre Produkte als immersive Erlebnisräume mit Licht- und Schattenspielen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Licht braucht Raum. Raum braucht Licht. Einige Hersteller inszenierten ihre Produkte als immersive Erlebnisräume mit Licht- und Schattenspielen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Effizienz, Wellbeing und Nachhaltigkeit

Wenn es um Architekturbeleuchtung geht, dann kommt man um die beiden italienischen Topmarken Artemide und Flos nicht herum. Das Konzept «The Human & Responsible Light» von Artemide stellt den Menschen sowie die Nachhaltigkeit in den Fokus. Es zeigte sich an der Euroluce, dass gerade bei hochwertigen Produkten in der Architekturbeleuchtung kreislauffähige Materialien zwar nicht erst jetzt zum Einsatz kommen, nun aber erst recht auf die Verwendung von Aluminium als einem zu 100 Prozent rezyklierbaren, äusserst robusten und langlebigen Material hingewiesen wird. Die Unternehmen, nicht nur der Beleuchtungsbranche, sondern auch im Möbeldesign ganz allgemein, kommunizieren ihre Umweltthemen. Da geht es um die Verbesserung von Produktionsabläufen, die Reduzierung von Abfall sowie die Entwicklung neuer Technologien. Dies ist umso relevanter geworden, als für nachhaltige Gebäude auch die Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit der Beleuchtung ein grosses Thema sind. Aber auch der gesundheitliche Aspekt ist seit Längerem ein wichtiger Fokus. Licht ist zwar nur ein Faktor im Bereich des Human Centered oder Wellbeing Designs, ist aber gerade im Bereich der Arbeitsplatzbeleuchtung und im Gesundheitswesen elementar, wie dies auch Michael Heusi im nachfolgenden Interview verdeutlicht. Ein besonderes Augenmerk verdient das neue Beleuchtungskonzept «Dreispitz» der Basler Architekten Herzog & de Meuron: Das hochgradig modulare System besteht aus verschieden langen dreieckigen Grundelementen, die an drei Seiten Streulichtröhren tragen – eine poetische wie funktionale Lösung

«Dreispitz» ist ein ungewöhnlicher Name für eine Architektur-Systembeleuchtung. Der Name bezieht sich auf das Dreieck, aber auch auf das Areal Dreispitz in Basel, denn entworfen haben das Konzept Herzog & de Meuron für Artemide. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Caimi Lab hat sich auf akustisch wirksame integrale Lichtlösungen spezialisiert und in Mailand unter anderem die Leuchte «Milano» präsentiert. Bezogen ist sie mit einem schallabsorbierenden Textil - aussen gespannt und innen plissiert. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Licht in Architektur integriert: «Ottomano» ist ein achtseitiger Handlauf mit einer LED-Lichtquelle für den Innen- und Aussenbereich von Olev. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
«Workmates» von Flos Architectural ist eine neue Familie für die Raum- und Arbeitsplatzbeleuchtung. Minimalistisch in der Form und mit abgerundeten Ecken wirkt sie diskret bei einer hohen Effizienz. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

«Workmates» von Flos Architectural ist eine neue Familie für die Raum- und Arbeitsplatzbeleuchtung. Minimalistisch in der Form und mit abgerundeten Ecken wirkt sie diskret bei einer hohen Effizienz. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

«Workmates» von Flos Architectural ist eine neue Familie für die Raum- und Arbeitsplatzbeleuchtung. Minimalistisch in der Form und mit abgerundeten Ecken wirkt sie diskret bei einer hohen Effizienz. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Die Magie von Glas

Italien beziehungsweise das Veneto, ist das weltweite Zentrum der Glasbläserkunst. Es ist eine Welt der Magie, Alchimie und eines Know-hows, das zum Teil streng gehütet wird. In jüngster Zeit fasziniert die Glasbläserkunst wieder vermehrt Gestalter*innen aus der ganzen Welt. Die Experimentierlust in einem kooperativen Prozess zwischen den Glasbläsern – es sind aufgrund der Schwerarbeit zumeist nur Männer – und den Designer*innen führt zu aussergewöhnlichen Formen und Wirkungen, die durch die Lichtbrechungen und Reflexionen im und mit dem Glas erzeugt werden. Dieser innovative Zugang scheint auch die Beleuchtungsbranche erfasst zu haben. Dabei geht es zudem darum, den Stellenwert des Handwerks und alter Traditionen auch mit raffinierten Veredelungstechniken herauszustreichen. Verschiedene Hersteller zeigten Neuheiten und Leuchten, in denen die ätherische Erscheinung des Glases vorwiegt. Dies zeigt unter anderen die Leuchte «Aether» des italienischen Herstellers Lumina sehr schön: Im Innern der transparenten Glashülle liegt ein weiches transluzentes «Blatt», das mit der integrierten Dimmung ein subtiles Lichtspiel erzeugt. Mundgeblasenes Glasleuchten sind darüber hinaus immer Unikate.

Die seifenblasenförmigen Glaskörper der Kollektion «Stellar Nebula» des Designstudios BIG für Artemide ist mit einer dichroitischen Beschichtung veredelt. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Die seifenblasenförmigen Glaskörper der Kollektion «Stellar Nebula» des Designstudios BIG für Artemide ist mit einer dichroitischen Beschichtung veredelt. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Die seifenblasenförmigen Glaskörper der Kollektion «Stellar Nebula» des Designstudios BIG für Artemide ist mit einer dichroitischen Beschichtung veredelt. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Schwebende Erscheinung: Die Hängeleuchte «Aether» von Lumina ist eine poetische Verbindung von Glasbläserkunst und Technologie des japanischen Designstudios Aatismo. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Weg vom klassischen Glasdiffusor: Die wie Jojos im Raum hängenden Glasleuchten «Zen» von Venicem sind in verschiedenen Durchmessern erhältlich. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Zeichenhaftigkeit

Mit LED- und anderen Lichttechnologien wurde der klassische «Lampenschirm» oder Diffusor eigentlich obsolet. Doch die «grosse Geste» ist genauso wichtig. Diese kann durch die Dimensionen einer Leuchte erreicht werden, weshalb sich grosse Lampen besonders für die Gastronomie, Hotellerie oder das Shopdesign eignen. Hier geht es in erster Linie um das Schaffen von Einzigartigkeit und einen hohen Wiedererkennungswert einer Innenarchitektur oder Raumgestaltung und weniger um ein funktionales Lichtkonzept. Natürlich funktionieren diese optischen Attraktionen auch sehr gut im Messekontext, da sie die Aufmerksamkeit der Besucher*innen auf sich ziehen. Strahlkraft besass in diesem Kontext das Work in Progress «Array» von Vibia. Der Designer Umat Yamac ist Architekt und Designer in London mit türkischen Wurzeln. Er beschäftigt sich in seinen Arbeiten vor allem mit der Beziehung zwischen Design und Benutzer und stellt diese in den Mittelpunkt. Die konischen Lampenschirme bestehen aus einer Vielzahl dünner Schnüre. Die im unteren Ring verborgene Lichtquelle ist zum einen nach unten gerichtet, zum anderen streift das Licht entlang der Schnüre nach oben und lässt «Array» zu einer schwebenden Licht-Skulptur werden.

Für grosse Aufmerksamkeit an der Euroluce sorgte das Projekt «Array» von Uma Yamac für Vibia. Der konische Lampenschirm besteht aus dünnen Schnüren. Die Lichtquelle ist im unteren Ring verborgen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Bover gehört zu den bekannten spanischen Brands aus Barcelona. «Folie» ein Entwurf von Christophe Mathieu von 2021 wurde nun noch weiter hochskaliert für imposante Inszenierungen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
«The line declares the space», sagte Minimal Art Künstler Ellsworth Kelly. Die Leuchtenserie «Liason» von Axolight wurde für Hotellerie und Gastronomie entworfen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

«The line declares the space», sagte Minimal Art Künstler Ellsworth Kelly. Die Leuchtenserie «Liason» von Axolight wurde für Hotellerie und Gastronomie entworfen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

«The line declares the space», sagte Minimal Art Künstler Ellsworth Kelly. Die Leuchtenserie «Liason» von Axolight wurde für Hotellerie und Gastronomie entworfen. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Verborgene Lichtquellen

Die Bedürfnisse, die Leuchten in einem Raum erfüllen müssen, sind sehr vielfältig. Während für das Arbeiten Tageslicht-ähnliches Licht auch physiologisch optimal ist, damit wir wach bleiben und uns konzentrieren können, gibt indirektes Licht, das an Wänden, Decken und anderen Oberflächen abstrahlt, eine angenehme Grundstimmung. Gerade indirektes Licht lässt sich vielseitig ausformulieren. Eine ausgeklügelte Kombination von direktem und indirektem Licht war beim kleinen Karlsruher Label NYTA zu entdecken. Die beiden Designer Johannes Marmon und Johannes Müller haben an der HFG Karlsruhe Produktdesign studiert und ihr Label 2012 gegründet. Schon mit ihrer ersten Leuchte «Tilt» sorgten sie für Furore. Der Aluminiumschirm mit Schlitz, der ohne Halterung in das Kabel eingehängt wird, wurde mehrfach nachgeahmt. An der Euroluce zeigten sie mit «May» eine Hängeleuchte, die drei Bedürfnisse erfüllt: Ein Uplight mit flachem Abstrahlwinkel beleuchtet den Raum indirekt. Eine Glaskugel streut das Licht seitwärts und ein filigranes Downlight gibt punktuell Licht. Alle drei Lichtquellen lassen sich unabhängig voneinander dimmen, mit klassischem Schalter oder via Bluetooth.

In «Anoor» von Foscarini (Design: Gabriele und Oscar Buratti) sind das Dekorative und Funktionale vereint. Die Leuchte nutzt die Wand als Reflektor. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

In «Anoor» von Foscarini (Design: Gabriele und Oscar Buratti) sind das Dekorative und Funktionale vereint. Die Leuchte nutzt die Wand als Reflektor. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

In «Anoor» von Foscarini (Design: Gabriele und Oscar Buratti) sind das Dekorative und Funktionale vereint. Die Leuchte nutzt die Wand als Reflektor. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Bei der neuen Leuchte «Peaks» von Michael Anastassiades bedingen sich miteinander verbundene Konen gegenseitig und schaffen so eine spannende Lichtskulptur. ©courtesy Salone del Mobile.Milano
Hier ist der Name Programm: «Millimetro» vom norwegischen Designer Daniel Rybakken zeigte Luceplan in einer erweiterten Version. Die verspiegelte Metallscheibe, hinter der sich eine LED verbirgt, ist lediglich ein Millimeter dick. ©courtesy Salone del Mobile.Milano

Das neue Lichtkonzept «May» von NYTA wurde mit dem «Best of Best» Preis des Iconic Awards 2023 des German Design Council ausgezeichnet. Es besteht aus drei Lichtquellen, welche die verschiedenen Bedürfnisse bezüglich Licht im Raum in einer Leuchte vereinen:

Dieser Artikel ist in Arc Mag N°4 2023 erschienen. Bestellen Sie jetzt ein Abo, damit das Heft schon bald in Ihrem Briefkasten ist.

Die Redaktion wünscht viel Spass beim Lesen!

196996970