Konstanz und Harmonie – ein Bericht vom Salone del Mobile

 

Messe

Veröffentlicht am 29. Juni 2023 von
Christina Horisberger

Kleiner, feiner, bescheidener? Wer dies beim ersten «richtigen» Salone del Mobile nach der Corona-Pandemie vom 18. bis 23. April 2023 erwartet hatte, musste erstaunt erkennen: Die grossen italienischen Namen haben es sich nicht nehmen lassen, wieder mit gewohnter Grandezza aufzutreten. Sie liessen die Besuchenden aus aller Welt wissen: «Wir waren nie weg. Wir haben nur eine kleine Verschnaufpause gemacht.» Innovationen gab es jedoch nur wenige zu sehen. Spannende Tendenzen liessen sich hingegen einige ausmachen.

Die Welt ist auch «nach Corona» nicht einfacher geworden. Im Gegenteil. Es stellt sich deshalb nach vier Jahren Pandemie und anderen globalen Verwerfungen die Frage: Haben sie auch das Design und den Fokus der Möbelhersteller verändert? Die Antwort fällt ambivalent aus: Ja und nein. In instabilen Zeiten – seit der Finanzkrise 2008 eher Normalzustand als Ausnahme – wächst offensichtlich bei den meisten Menschen das Bedürfnis nach Konstanz, Harmonie und Geborgenheit. Darauf reagieren die Hersteller mit subtil aufeinander abgestimmten Material- und Farbwelten, welche die natürlichen Farben möglichst ökologischer Elemente wie Holz und Naturfasern unterstreichen. Um der Nachhaltigkeit Ausdruck zu verleihen, werden Hölzer verwendet, die strengen Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsstandards entsprechen und – wenn möglich – aus heimischen Wäldern stammen. Um dem ökologischen Anspruch auch im Design Ausdruck zu verleihen, wird dies mit elaboriertem Holzhandwerk unterstrichen. Beispielhaft lässt sich dies am Forschungsprojekt Metoda (metoda.eu) zeigen. Die Kroaten hat sieben innovativen Designbüros den Auftrag gegeben, mit slavonischem Eichenholz funktionale und zugleich eigenständige Möbel zu entwerfen. Die Entwürfe zeigte Metoda im Superstudio – noch immer ein Must-Be der Design Week. Die Entwürfe wirken erfrischend, und zeigen ganz offen, dass ihnen Designklassiker des Mid-Century als Vorbilder dienen, weil sich in ihnen jenes Know-how im Handwerk und eine organische Formensprache manifestieren, die wir heute als «zeitlos modern» bezeichnen.

Im House of Switzerland in der Casa degli Artisti im Brera Quartier von Mailand zeigten unter anderem Studierende der ECAL eine spannende Auswahl an (Diplom-)Arbeiten und regten damit zum Austausch über die Zukunft des Produktdesigns an. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Im House of Switzerland in der Casa degli Artisti im Brera Quartier von Mailand zeigten unter anderem Studierende der ECAL eine spannende Auswahl an (Diplom-)Arbeiten und regten damit zum Austausch über die Zukunft des Produktdesigns an. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Im House of Switzerland in der Casa degli Artisti im Brera Quartier von Mailand zeigten unter anderem Studierende der ECAL eine spannende Auswahl an (Diplom-)Arbeiten und regten damit zum Austausch über die Zukunft des Produktdesigns an. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Japanisches Design

Japanisches Design ist nicht erst seit diesem Jahr der gefeierte Star. Es vereint Modernität und eine Philosophie und Herangehensweise in sich, die auch Gestalter*innen der westlichen Hemisphäre immer wieder inspiriert: Die minimalistische, von der praktischen Nutzung aus gedachte und zugleich hochästhetische Sprache japanischen Designs zeugt von einem hohen Respekt gegenüber dem Handwerk, dem Material und dem Phänomenologischen – den Erscheinungsformen des Materiellen. Japanisch inspirierte Entwürfe fanden sich in Mailand nicht nur bei zahlreichen westlichen Herstellern, sondern vor allem auch in der Präsenz junger japanischer Designer*innen. Grosse Aufmerksamkeit erhielt beispielsweise das Startup Quantum aus Tokio mit einer Serie innovativer und zugleich poetischer Leuchten. So besteht «Cut» aus ultradünnem, lichtemittierendem Papier, das ornamental ausgeschnitten ist. Ebenfalls für Aufsehen sorgte am SaloneSatellite (das diesjährige Motto lautete «Design, dove vai?») das Projekt Tatami ReFAB des japanischen Kollektivs Honoka, das mit dem diesjährigen SaloneSatellite Award ausgezeichnet wurde. Hierfür haben die Designer ausrangierte Tatamimatten pulverisiert, mit biologisch abbaubaren Kunststoffen vermischt und filigrane Designobjekte 3D gedruckt.

Das aus Japan stammende Designkollektiv Honoka Lab nutzt für ihr Tatami ReFAB Project die 3D-Drucktechnologie. Ausrangierte Matten werden pulverisiert und zu zeitgemässen Möbeln recycelt. ©courtesy Salone dei Mobile.milano
Beispielhaft für die zahlreichen von Japan inspirierten Entwürfe ist auch der multifunktionale Hocker / Beistelltisch «Heiji» - eine Neuheit des Designers Philipp Mainzer für E15. ©courtesy Salone dei Mobile.milano
Karimoku ist eine japanische Lifestyle-Marke, die ihre Neuheiten in einem Case Study Apartment präsentierte. Der Sessel ist ein Entwurf des dänischen Architekturbüros Norm Architects. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Überall zuhause

Beim Wohnen wird das Drinnen zum Draussen und umgekehrt. Analog dazu gibt es immer mehr Möbel, die nicht mehr eindeutig zeigen, wohin sie gehören. So präsentierten nicht nur die bekannten Outdoor-Möbel-Hersteller wie beispielsweise Dedon, Gloster, Gandia Blasco oder Roda wohnraumtaugliche Outdoor-Kollektionen. Auch einige bekannte internationale, wie italienische Möbelfirmen stellten – zum Teil zum ersten Mal – Möbel für das Wohnen im lauschigen Garten oder die Hotelterrasse vor. Dazu gehörte unter anderen die Wiener Möbelwerkstatt Wittmann mit der Kollektion «Paradise Bird» von Luca Nichetto. Auch Knoll hat sich wieder auf einen seiner Klassiker (1966) von Richard Schultz besonnen und von Piero Lissoni das Outdoor-Sofa «Cedrone» entwerfen lassen. Gezeigt wurde es an einem Messestand, der den bekannten Case Study Houses nachempfunden war. Die raumhohen, rahmenlosen Glasfronten jener Architekturikonen der Nachkriegsmoderne sind wieder zum exklusiven Wohntraum geworden. Gerade für diese Architektur, in welcher der Aussen- und Innenraum nahtlos verschmelzen, sind diese hybriden Kollektionen gemacht. Als witterungsbeständig beweisen sich diese Entwürfe durch innovative Polsteraufbauten sowie Textilien und Seile, denen man ihren hohen Kunststoffanteil nicht ansieht. Dies gilt auch für die – japanisch inspirierte – Kollektion «Onsen» von Gandia Blasco (Design: Alberto Meda und David Quincoces), deren Gurte aus Kunstleder gemacht sind und deren Tragstruktur aus rostfreien Stahlrohren gefertigt ist. Rostfreier beziehungsweise pulverlackbeschichteter Stahl waren in Mailand auch aus Nachhaltigkeitsgründen sowohl im Outdoor- wie im Wohnraumdesign ein viel gesehenes Material, da es 100 Prozent kreislauffähig ist und Langlebigkeit verspricht.

Stahlrohr, innovative wasserabweisende Textilien sowie Kunstleder machen die Linie «Onsen» von Gandia Blasco auch für (öffentliche) Innenräume geeignet. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Stahlrohr, innovative wasserabweisende Textilien sowie Kunstleder machen die Linie «Onsen» von Gandia Blasco auch für (öffentliche) Innenräume geeignet. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Stahlrohr, innovative wasserabweisende Textilien sowie Kunstleder machen die Linie «Onsen» von Gandia Blasco auch für (öffentliche) Innenräume geeignet. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Signature Pieces

Natürlich ging es auch dieses Jahr nicht ohne Wow-Momente. Diese Entwürfe sind besonders für Räume geschaffen, wo ein Signature-Effekt erwünscht ist. Denn trotz Klimawandel und Nachhaltigkeit: Design darf auch Spass machen oder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Immer wieder für eine Überraschung gut ist diesbezüglich das holländische Label Moooi, dieses Jahr vor Ort mit der «Knitty Lounge» der Designerin Nika Zupac. Für eine zweite Überraschung sorgte das conversation piece mit seiner Weichheit, die nicht vorhersehbar ist: Ineinander verwobene Seile – es sind hier mit Textil überzogene Schaumstoffelemente – sind in unserer Erinnerung hart. «Max» von schwedischen Label Blå Station wirkt hingegen wie mit einem dicken Renderingstift gezeichnet, ist tatsächlich aber ein Sessel, den Johan Ansander 2021 zuerst in Massivholz ausgeführt hat und der nun in gepolsterter Version voluminöser wirkt, wie auch um einiges leichter ist als sein Bruder «Maximus» aus dem Jahr 2021.

Der Sessel «Max» von Blå Station ist der jüngere, weichere und leichtere Bruder von «Maximus». Die charmant wirkende Voluminosität überzeugt durch eine sehr hochwertige Verarbeitung. ©courtesy Salone dei Mobile.milano
Ikonische Möbel haben einen hohen Wiedererkennungswert: beim Sofa «Figure» von Wittmann (Design: Luca Nichetto) drängt sich die Assoziation an Kieselsteine auf. ©courtesy Salone dei Mobile.milano

Modularität ist State of the Art

Nicht nur fürs private Wohnen, sondern auch für die Anforderungen von Hotellerie und Arbeitslandschaften waren modulare Sofas auch dieses Jahr hoch im Kurs. Für Magis hat der deutsche Designer Stefan Diez das modulare Sofa «Costume» entwickelt. Es überzeugt nicht nur durch formale Stringenz, sondern auch mit einem raffinierten Aufbau. «Costume» besteht aus einem Grundelement mit lediglich vier Materialien. Dank einer Kunststoffverbindung, die an allen vier Ecken in eine Nut eingeschoben wird und so – das ist oft eine Schwachstelle modularer Sofas – eine äusserst stabile Verbindung herstellen. Zugleich sind diese Elemente, wählt man sie in einer Kontrastfarbe, ein spannungsreiches gestalterisches Detail. Mit dem Grundelement, den Armlehnen sowie einer Ottomane lassen sich mit dem System «Costume» unzählige Varianten kreieren, die zahlreichen Bedürfnissen und Raumsituationen gerecht werden. Der Kern von «Costume» besteht aus rezykliertem und wieder verwendbarem Polyethylen aus der Möbel- und Autoindustrie. Obwohl man das dem grosszügig gepolsterten Sofa nicht ansieht, benötigt es nur eine dünne Schicht Schaumstoff, und die einzelnen Materialien lassen sich sortenrein trennen und recyceln.

Der bekannte Designer Stefan Diez hat für Magis ein modulares Sofasystem entwickelt, das es im Wortsinn «in sich» hat …
… denn es besteht lediglich aus vier verschiedenen Materialien: rezykliertem und recycelbarem Polyethylen, einem kompakten Taschenfederkern, einer dünnen Schicht Schaumstoff sowie dem Textilbezug.

Dieser Artikel ist in Arc Mag N°4 2023 erschienen. Bestellen Sie jetzt ein Abo, damit das Heft schon bald in Ihrem Briefkasten ist.

Die Redaktion wünscht viel Spass beim Lesen!

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