Neues Zirkuläres Bauen ​​​​​– Bürohaus Müllerstrasse Zürich

Veröffentlicht am 23. Juni 2025 von
Nina Farhumand

Abreissen geht schneller. Kostet weniger. Passt ins System. Doch was, wenn man das System ändert? Ilmer Thies Architekten entscheiden sich für den umgekehrten Weg: Statt das Bürohaus aus den 1970er-Jahren an der Müllerstrasse in Zürich zu ersetzen, bewahren sie seine Struktur – und schreiben sie weiter. Sie transformieren den Bestand nicht nur baulich, sondern konzeptionell. Ihr Projekt wird zum Beispiel. Das dazugehörige Buch zeigt, wie.

Ansicht aus der Glasmalergasse nach Sanierung | Foto: Andreas Gehrke

Ansicht aus der Glasmalergasse nach Sanierung | Foto: Andreas Gehrke

Ansicht aus der Glasmalergasse nach Sanierung | Foto: Andreas Gehrke

Sanierung als Prozess

Unsere Redaktion hat sich das Buch zur Sanierung genauer angesehen. Es beginnt mit dem Ist-Zustand: ein Bau mit veralteter Infrastruktur, ungenutztem Potenzial, typischem Raster aus Aluminium und Glas. Die Architekten nehmen ihn auseinander – und setzen ihn neu zusammen. Sie analysieren, reduzieren, kombinieren. Rückbau bis auf den Rohbau. Betonbrüstungen entfernen. Bauteile retten. Materialien neu einsetzen. Das Buch folgt diesem Prozess Schritt für Schritt – mit klarer Sprache, technischen Erläuterungen, fotografischer Dokumentation, Detailzeichnungen und fundierten Kommentaren.

Ein Kapitel widmet sich den Gussaluminiumplatten: zu unrein für klassisches Recycling, aber zu wertvoll zum Entsorgen. Also werden sie geschnitten, gereinigt, neu eingesetzt – ohne Kleber, sondern verschraubt, für spätere Rückgewinnung. Aus Reststücken entstehen Wandverkleidungen und Signaletik. Was übrig bleibt, fliesst in neue Innenhoffassaden. Der Materialkreislauf bleibt sichtbar – kein Prinzip, sondern Praxis.

Aluminiumverkleidung Bestandsstützen | Fotos: Andreas Gehrke
Fassade Müllerstrasse | Fotos: Andreas Gehrke

Technische Innovation im Bestand

Auch die Statik wurde mitgedacht: Durch das Entfernen der Betonbrüstungen entstand eine neue strukturelle Herausforderung. Die Lösung: ein Zugstab-System, das die Kräfte elegant aufnimmt – sichtbar, aber zurückhaltend. Die Fassade selbst wurde neu organisiert: ein System mit wenigen Elementbreiten gleicht Unregelmässigkeiten im Bestand aus. Effizient in Fertigung, klar im Ausdruck.

Ein Schwerpunkt des Buchs ist der Umgang mit Technik: Statt konventioneller Verschattung mit Lamellen oder Screens kommt dynamisch steuerbares Flüssigkristallglas zum Einsatz. Es verdunkelt sich automatisch, sobald Sonnenwärme – auch diffuse Einstrahlung, etwa durch Wolken – auf die Glasflächen trifft. Der Raum überhitzt nicht, die Aussicht bleibt erhalten. Kein mechanisches System, keine beweglichen Teile, kein Energieverlust durch externe Beschattung. Die Kühlung des Gebäudes wird effizienter, der Energieverbrauch sinkt spürbar. Das Buch behandelt diese Technologie nicht als Zukunftsversprechen, sondern als gebaute Realität – mit technischen Details, Plänen und Erfahrungswerten aus dem Betrieb. So wird sichtbar, wie technische Innovation zur Optimierung von Energie und Komfort beiträgt.

Umwandlung Gussalumiumelemente
rechts: Wiederverwendung neuer Fassade, links: Zuschnitt in Bestandsfassade

Architektur im Kreislauf

Der dokumentarische Ansatz des Buchs überzeugt: Keine Selbstinszenierung, sondern saubere Analyse. Die Kapitel folgen der Logik des Projekts – von Struktur über Material bis Rückbau und Haustechnik. Selbst Aspekte wie CO₂-Bilanz, SNBS-Zertifizierung (Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz – bewertet ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit) oder die Integration ins Madaster-System werden nicht als Aushängeschild, sondern als Teil der Planung behandelt. Das Gebäude ist digital katalogisiert, Materialien und Bauteile sind systematisch erfasst. So wird der Bau lesbar – als Ressource, nicht als Einwegprodukt.

Die Architektur selbst profitiert: Die neue Fassade bringt Licht, Tiefe, Offenheit. Sie löst die Widersprüche des Bestands auf – zwischen Versprechen und Realität, zwischen Raster und Raum. Innen- und Aussenwirkung greifen jetzt ineinander. Der Umbau zeigt: Zirkularität muss nicht nach Reduktion aussehen – sie kann präzise, robust, elegant sein.

Neues Zirkuläres Bauen verzichtet auf dekorative Bilder oder plakative Schlagworte. Stattdessen versteht sich das Buch als Arbeitsbericht – ein Werkzeug für alle, die sich vertieft mit nachhaltigem Planen und Bauen im Bestand auseinandersetzen möchten.

Blick in Buch
| Fotos: Ilmer Thies Architekten

Neues Zirkuläres Bauen – Bürohaus Müllerstrasse Zürich

Park Books

Erste Ausgabe, 2025

Sprache: Deutsch

200 Seiten, 141 farbige und 20 s/w-Abbildungen

17 x 24 cm

CHF 39.–

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