Strategien für einen alternativen Umgang mit dem Bestand
Architektur zwischen Bestand und Erneuerung
In Zeiten urbanen Verdichtung und steigender Nachhaltigkeitsanforderungen präsentiert diese aktuelle Publikation einen bemerkenswert frischen Blick auf den Umgang mit bestehender Bausubstanz. Das Werk dokumentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojekts am Departement Architektur der ETH Zürich und stellt dabei die gängige Praxis des kompletten Abrisses und Neubaus grundsätzlich infrage. Über drei Semester hinweg untersuchte das Studio gemeinsam mit Studierenden den Stadtumbau in Zürich einer Stadt, die durch die Strategie des Ersatzneubaus starkem Wandel unterworfen ist. Anhand von 22 Projekten werden kreative Lösungen für die Transformation verschiedener Bautypen, vom Einfamilienhaus bis zu Grossssiedlung, vorgestellt. Der Ansatz zielt darauf ab, mindestens ein Drittel des Bestehenden in neue Entwürfe zu integrieren.
Schlüsselkapitel: «Now and Then»
Der innovative 33.3 Prozentansatz zieht sich wie ein roter Faden durch die Publikation. Er steht symbolisch für einen Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung. Statt einer binären Wahl zwischen vollständigem Erhalt oder totalem Abriss rückt er differenzierte Teillösungen in den Fokus. Das Kapitel «Now and Soon» bietet eine spannende Übersicht, in der unterschiedliche urbane Typologien systematisch behandelt werden. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag zu «Real Estate Redevelopment», den die Redaktion aufgrund seiner aktuellen Relevanz und Fallbeispiele detailliert vorstellt. Hier werden die Risiken und Potenziale von Neubebauungen in zentralen Stadtgebieten beleuchtet, die zunehmend im Besitz institutioneller Investoren liegen. Am Beispiel prominenter Standorte wie – etwa am Harturm, Neu-Oerlikon, dem Brunaupark oder dem ehemaligen Hauptsitz der Zurich Insurance Group an der Austrasse wird die Frage aufgegriffen, ob es Alternativen zu einem kompletten Abriss oder Neubau gibt. Diese Grundstücke bieten vielfältige Chancen, riskieren jedoch den Verlust ihrer ursprünglichen Identität.
Besonders anschaulich findet die Redaktion das Beispiel der Überbauung Brunaupark, die von der Credit Suisse Asset Management entwickelt wurde und rund 240 Wohnungen sowie ein Einkaufszentrum umfasst. Die Siedlung, die ursprünglich in den 1980er-Jahren entstand, bietet heute preisgünstigen Wohnraum dank einer 30-jährigen Preisbindung. Mit dem Auslaufen dieser Bindung plant die Credit Suisse eine umfassende Erneuerung des Areals, bei der die bisherige städtebauliche Heterogenität einem «kohärenten architektonischen Design» weichen soll. Im Rahmen von «Now and Soon» werden neben «Real Estate Redevelopment» weitere Facetten der urbanen und suburbanen Entwicklung beleuchtet. So widmet sich «Garden City Densification» der nachhaltigen Verdichtung von Gartenstädten und zeigt Wege zur behutsamen Weiterentwicklung bestehender Siedlungsstrukturen auf. «Single-Family Home Investment» analysiert die Chancen und Herausforderungen des Einfamilienhausmarkts vor dem Hintergrund wachsender Flächennachfrage und sich wandelnder Wohnbedürfnisse. Dabei werden Einfamilienhausquartiere nicht länger als Problemzonen betrachtet, sondern als Räume mit ungenutztem Potenzial neu bewertet.
Aus der Sicht unserer Redaktion besticht das Buch seine methodische Genauigkeit und den hohen Praxisbezug. Die durchgängig hochwertige grafische Aufbereitung mit aussagekräftigen Plänen und Visualisierungen erleichtert das Verständnis der komplexen Sachverhalte. Besonders wertvoll sind die sieben Talks «Beyond Reflections». In diesem Abschnitt kommen die Student*innen zu Wort und erläutern die verschiedenen Perspektiven ihrer Analysen.
Kritisch anzumerken ist lediglich, dass wirtschaftliche Aspekte teilweise etwas zu kurz kommen. Eine detailliertere Kostenanalyse der vorgestellten Alternativkonzepte im Vergleich zur konventionellen Ersatzneubaustrategie wäre wünschenswert gewesen.
Towards Transformation
Triest Verlag
Erste Ausgabe, 2024
Sprache: English
192 Seiten, 310 Abbildungen
26,5 x 19,5 cm
CHF 39.–