Zwischen Zeilen - Umnutzung der ehemaligen BSI in Lugano
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Schweiz
Veröffentlicht am 15. Februar 2023
Teilnahme am Swiss Arc Award 2023
Beschreibung
Im Zentrum der Arbeit steht die Umnutzung und Weiterentwicklung des ehemaligen BSI Gebäudes an der neu entstehenden Tramhaltestelle Cappuccine inmitten der Innenstadt von Lugano. Die fehlende Vernetzung des Gebiets und der Mangel an öffentlichen Räumen in Lugano bildeten die Grundlage des Entwurfes.
Ausgangslage
Die Masterthesis HS22 beschäftigte sich mit dem ehemaligen BSI Gebäude in Lugano. Ziel der Thesis war es, diesen zentralen Ort, der durch die neue Tramlinie für das städtische Gefüge Luganos an Bedeutung gewinnen wird, neu zu denken. Die Studierenden sollten sich auf die Suche nach einem Gebäude machen, welches einen cleveren Umgang mit dem Bestand findet und diesen intelligent weiterdenkt und weiterentwickelt. Ein Haus, das eine klare Haltung zur Stadt und damit auch zur Strasse und dem öffentlichen Aussenraum findet.
Entwurfsidee
«Lugano kann als eine luxuriöse Vitrine oder baulich gesehen als ein legalisiertes Desaster betrachtet werden. Zwischen Edelboutiquen und dem Finanzdistrikt fehlen Orte für ein Zusammenkommen, für Austausch, für Diskussionen.» Mario Botta
Der Perimeter der ehemaligen BSI liegt eingebettet zwischen drei sehr unterschiedlichen Stadtteilen mit genau so unterschiedlichen öffentlichen Räumen. Zum einen die Altstadt, ein dichtes, über Jahrhunderte gewachsenes Gefüge aus Gassen, Plätzen und Treppen, zum anderen das Wohngebiet am Hang mit viel privatem Aussenraum und Quartierstrassen, sowie das Gewerbegebiet im Norden mit grossmassstäblichen Gebäuden entlang von stark befahrenen Strassen. Die Gebiete werden einerseits durch die Via Cantonale und andererseits durch die ansteigende Topographie stark voneinander getrennt. Auch der Perimeter bildet sich innerhalb des Stadtgefüges wie eine Enklave ab, welche mit keinem der umliegenden Gebiete vernetzt ist.
Aufgrund der Lage, der Topographie und der Umnutzung des Bestandes bietet die ehemalige BSI jedoch das Potenzial, das umliegende Gebiet durch das Anbieten von neuen Wegeverbindungen, öffentlichen Nutzungen, einem heterogenen Angebot an Wohn- und Gewerbeeinheiten, gemeinschaftlichen Innen- und Ausssenflächen auf verschiedenen Ebenen eine vernetzende Funktion für die Stadt Lugano zu übernehmen. Sodass langfristig ein belebtes Stück Stadt mit Raum für Diskussion und Aneignung entstehen kann, so wie Mario Botta es forderte.
Projektierung
Öffentliche Fusswege rund um und durch den Perimeter werden in einem ersten Schritt wieder geöffnet oder neu hergestellt. Es entsteht dadurch ein Gefüge aus verschiedenen Plätzen und Gassen, die den Perimeter mit der Stadt verknüpfen. Diese knüpfen auf unterschiedlichen Terrainniveaus an das Gebäude der ehemaligen BSI an.
Auf Erdgeschossniveau wird die bestehende Tiefgarage im Süden des Gebäudes durch Terrainabtragung geöffnet. In Zusammenhang mit den bestehenden Nachbargebäuden entsteht hier eine intime Gasse mit menschlichem Massstab, in der sich Werkstätten für Handwerksbetriebe ansiedeln können. Hier öffnet sich auch der Blick in Richtung der Haltestelle Cappuccine im Gebäudezwischenraum mit Sitzmöglichkeiten für die Pendler, eine Bäckerei und einen kleinen Supermarkt, aber auch Gewerbe- und Atelierflächen. Die räumliche Abgeschlossenheit lässt den Blick nach oben wandern in die neue vernetzende Struktur.
Im ersten Obergeschoss ist die Werkstattterrasse über eine Passage mit dem Gebäudezwischenraum verbunden, wo wiederum kleinteilige Gewerbeeinheiten die beiden seitlichen Laubengänge bespielen. Im Geschoss darüber befindet sich die neue Piazza Sant’Anna. Hier enden weitere Wegeverbindungen, z. B. die von der Via Cattedrale oder die bestehende Verbindung durch die ehemalige BSI. Hier können grössere Veranstaltungen mit vielen Teilnehmenden wie z. B. ein Open-Air-Kino oder ein Konzert stattfinden. Das Café am Platz bespielt sowohl den Platz als auch den Zwischenraum.
Realisierung
Nicht nur in der neuen Struktur, sondern auch entlang von dieser siedeln sich gemeinschaftliche Nutzungen an. Immer bei den Treppen finden sich so von Fassade zu Fassade durchstossende Räume: Waschsalons, Arbeitsräume, ein Spielzimmer, Fitnessräume und eine Werkstatt. Mit ihren grossen Falttüren können sie als räumliche Erweiterung zur öffentlichen Erschliessung gelesen werden.
Wie Hertzberger es feststellte: Sie sollen dazu einladen, Teile des Alltags aus der privaten Wohnung in die Struktur zu verlegen.
Der Weg durch die Struktur findet seinen Abschluss in den öffentlichen, überhohen Dachräumen, die sich innerhalb der Fachwerkträger aufspannen. Hier finden sich in abgetreppter Anordnung eine Social Kitchen, eine Terrasse und ein Gewächshaus mit Gemüse für die Social Kitchen seinen Platz.
Das Foyer Pubblico gegenüber der Social Kitchen bildet den Auftakt zu den beiden Sälen der Sala Comune und der Sala Culturale mit Tribüne, wo Vereine, Chöre und Musikgruppen Veranstaltungen abhalten können.
Besonderheiten
Die Grundrisse der Wohn- und Gewerbeeinheiten bauen auf der Bestandsstruktur mit Stützen-Platten und den massiven Kernen auf und nutzen die jeweiligen räumlichen Eigenheiten. Einerseits ergeben sich so durchgesteckte Wohn- und Arbeitseinheiten in der Stützen-Plattenstruktur und andererseits Maisonette-Wohnungen in den Kernen. Die Stützen-Platten-Struktur lädt dazu ein funktionsoffene und frei einteilbare Einheiten zu entwickeln. Diese können sowohl gewerblich, aber auch zum Wohnen genutzt werden. Die Einheiten entwickeln sich um sechs frei in die bestehende Struktur gestellte Trennwände. Diese trennen grundsätzlich 3 kleinteilige Einheiten voneinander ab, sind jedoch auch als eine grosse Einheit nutzbar.
Reversible Holzwände und Drehtüren unterteilen die Grundrisse in kleinere Räume und Nischen. Sie verfügen jeweils über eine Nasszelle und eine minimale Küchenzeile, die mit Schränken und Inseln ergänzt werden. Hier in Rot: feste Einbauten, blau: ergänzende Elemente. Die Einheiten können so Loft oder Kammergrundriss zugleich sein.
Die Maisonette Wohnungen sind aufgrund der massiven Wände eher introvertiert. Die bestehende Treppe wird zum Hauptelement innerhalb der Wohnung. Man betritt sie jeweils halbgeschossig versetzt über eine Treppe vom Laubengang. Und gelangt dann über den ersten Treppenlauf in das Wohngeschoss mit Küche. Wieder halbgeschossig darüber befindet sich eine Arbeitsnische auf dem Zwischenpodest und darüber das Schlafgeschoss. Auch die bestehenden Durchbrüche der Steigzonen genutzt. Das Schlafzimmer ist mit dem darunterliegenden Wohnzimmer verbunden. Das Bett im Kinder- oder Gästezimmer findet erhöht auf dem bestehenden Treppenlauf seinen Platz.
Next Generation Projekt eingereicht für den Arc Award 2023 von Rebecca Baer, Hochschule Luzern